Wir haben uns getraut und wir haben es geschafft. Sebastian, Jessica und ich sind in knapp 24 Stunden über eine Distanz von exakt 100 Kilometern einmal um Hamburg herumgewandert. Nach einigen Megamärschen über 50 Kilometer hatten wir das Gefühl, dass da noch mehr möglich ist. Es musste nicht die komplette Strecke sein, aber 60 Kilometer – die würden wir schon schaffen können. So der Plan.
Am Samstag um 15 Uhr geht es los. Wir starten in Finkenwerder. Zunächst geht es durch ein Gewerbegebiet in unmittelbarer Nähe des Airbus-Geländes. Aber schon bald merken wir an den vielen und großen Apfelplantagen, dass wir, in Richtung Moorburg marschierend, am Rande des Alten Landes unterwegs sind. Die Ausschilderung der Strecke ist mehr als perfekt, das trockene milde Wetter ist ideal zum wandern, das Gelände sehr abwechslungsreich und die Stimmung rundum gut.
Wir bewegen uns auf dem sogenannten 2. Grünen Ring um Hamburg herum. Er umrundet in ca. 8 – 10 Kilometern Entfernung vom Rathaus die innere Stadt. Er führt durch Parkanlagen über Waldgebiete und Kulturlandschaften bis hin zu Naturschutzgebieten, Flüssen und Seen.
Wir gehen also zunächst durch die Süderelbmarsch, Meyers Park und den Harburger Stadtpark bis zu unserem ersten Verpflegungspunkt bei ca. Kilometer 20. Wir erreichen ihn gegen 19 Uhr – und – jetzt ist es dunkel. Für die nächsten 12 Stunden werden wir unsere Stirnlampen nicht mehr vom Kopf nehmen. Das ist ungewohnt und gewöhnungsbedürftig, vor allem für einen so langen Zeitraum.
Wir laufen jetzt weiter durch die Vier- und Marschlande, überqueren die Elbbrücken und marschieren durch das Naturschutzgebiet Boberger Niederung. Ein wunderschönes Gebiet mit Dünen und Heide, wovon aber im Dunkeln natürlich nichts zu erkennen ist.
Es ist etwas ganz besonderes, wenn wir, ohne die Stirnlampen, nur imSchein desMondes, auf den gut ausgebauten Strecken an den Deichen laufen können. Es ist allerdings stockfinster, wenn der Mond hinter Wolken verschwindet und ohne unsere Stirnlampen wären wir hier völlig aufgeschmissen. Wir merken auch immer wieder, wie gut es ist, dass wir zu dritt nach dem Weg schauen. Sechs Augen sehen einfach mehr, wenn es wirklich darauf ankommt, richtig abzubiegen und kein Wegzeichen zu übersehen. Sich hier im Dunkeln zu verlaufen wäre sehr unangenehm und hätte zumindest zusätzliche Kilometer zur Folge, die man bei dieser Strecke überhaupt nicht gebrauchen kann.
Der nächste Verpflegungspunkt kommt nach weiteren 15 Km, der dann folgende erst 25 Kilometer später. Und 25 Kilometer, bei unserem Tempo erreichen wir ihn in 5 Stunden, sind sehr weit bei dem hohen Flüssigkeits – und Kalorienverbrauch.
Jetzt sind wir bei Kilometer 60, es ist ungefähr 4 Uhr nachts und es stellt sich die Frage: Aussteigen, wie anvisiert oder weitermachen?
Für Sebastian und Jessica ist es garkeine Frage, dass sie weitermachen und ich nehme mir zunächst einmal vor das Ende der Nacht und den beginnenden Tag erleben zu wollen.
Weiter geht es also durch die Nacht. Wir marschieren durch den Öjendorfer Park und an derTrabrennbahn Farmsen vorbei. Ich hätte mir jetzt eigentlich einen strahlenden Sonnenaufgang gewüscht, aber bei dem stark bedeckten Himmel wird aus dem Dunkel der Nacht leider nur nach und nach ein helleres Grau und ab und an nieselt es sogar ein wenig. Schade! Ich finde da hätten wir mehr verdient.
Ausserdem merke ich, dass ich anfange mich ein wenig zu quälen, als sich der Weg durch den Ohlsdorfer Friedhof, zum VPS 4, doch mehr zieht, als wir eigentlich vermutet hätten. Innerlich stelle mich auf eine bestimmte Wegstrecke ein, die ich bewältigen muss. Wenn es denn doch länger dauert, als geplant, werde ich innerlich etwas ungehalten und beginnende Schmerzen in den Füßen und der Beinmuskalutur werden noch deutlicher spürbar. Kopf hoch, es ist ja nur! noch ein Viertel der Strecke. Was sind schon 5 Stunden.
So ein Verpflegungspunkt gibt doch immer wieder ein wenig neue Kraft, auch wenn ein Sonntagsfrühstück eigentlich nicht aus zu süßen Müsliriegeln bestehen sollte und wenn von 4 Dixi-Klos nur noch eines wirklich nutzbar ist.
Mittlerweile steigen Mitwanderer aus. Bei VPS 3 und auch hier sehen wir deutlich fußkranke Menschen, die mit Urkunden in der Hand in Taxen steigen oder sich von Verwandten abholen lassen. Aber wir doch nicht! Wenn man so weit gekommen ist, beschließen wir, bringen wir es auch zu Ende.
Vorbei am Flughafen Fuhlsbüttel, durchs Niendorfer Gehege und den Altonaer Volkspark geht es langsam dem Ziel entgegen und jetzt geht es wirklich darum durchzuhalten. Meine Fußsohlen signalisieren mir, dass es jetzt eigentlich genug ist, die Wadenmuskulatur hat ihre Geschmeidigkeit verloren und die Beweglichkeit der Beine lässt spürbar nach und die Schrittweite wird kürzer. Es gefällt es mir garnicht, dass Sebastian und Jessica immer wieder stehen bleiben müssen, um auf mich zu warten. Das ist neu. Damit muss ich erst einmal zurechtkommen.
Ab Kilometer 90 wird jeder geschaffte Kilometer angezeigt. Das hilft, und ich errechne, mit Blick auf die Uhr, schon im voraus(wir brauchen pro Kilometer 12 Minuten), wann der nächste Kilometer erreicht ist. So beschäftige ich mich, um mich selbst von den schmerzenden Beinen und der nachlassenden Puste abzulenken. Bei Kilometer 95 überlege ich, dass alles eigentlich ziemlich verrückt ist und dass ich aus Vernunftsgründen jetzt aussteigen müsste. Ich bin aber nicht vernünftig.
Auch gegenüber dem Fotografen gebe ich mir keine Blöße.
…und dann ist es geschafft! 100 Km in 23 Stunden und 40 Minuten. Am Fähranleger Teufelsbrück endet unser Abenteuer. Wir nehmen unsere Medaillen und unsere Urkunden entgegen, holen uns den Stempel für den Wanderpass(Ordnung muss sein) und genießen es uns nicht mehr bewegen zu müssen.
Um jedwede Bewegung ausschließen zu können, setzen wir uns direkt unter den Pavillon von „Krombacher Alkoholfrei“(Sponsor der Veranstaltung). Da brauchen wir für Getränke nur hinter uns zu greifen und die Nutella-Crepes spendiere ich. Wenn ich schon bezahle, dann muss ich doch nicht auch noch aufstehen, um sie zu holen. Sebastian braucht erstaunlich lange für die 20 Meter zum Stand und zurück und es ist lustig anzuschauen, wie er versucht sich unauffällig über den Platz zu bewegen.
Ja, und dann ist da tatsächlich noch eine erneute Wolfsbegegnung. Als ich mich nämlich, weil ich es nicht anders hinbekomme, mit Schwung auf den Sitzplatz des Busses plumpsen lasse, merke ich, dass ich mir einen „Wolf gelaufen“ habe.
Mit kleinen Blessuren, aber stolz wie Bolle, fahren wir mit dem Metronom in Richtung Heimat.
Tolle Leistung!
Lieber Volker,
immer wieder macht es Spaß, deinen Spuren zu folgen.
Mit deinen Texten und Fotos,
gelingt es dir, mich
– selbst bei so merkwürdigen Ideen
wie einen 100 Kilometer Marsch –
mitzunehmen.
Schon dein erster Satz lädt zum weiter lesen ein und nach vielen, vielen Kilometern dann
….dieses Abschlußfoto….(seufz)..