Das Grüne Band „Wandern im wilden Deutschland“ – Tag 31

„Und heute bis ans Meer“, so ist mein Plan, aber irgendwie kommt dann doch alles ganz anders. Aber, fangen wir ganz von vorn an. Ich breche früh auf, weil ich gern am Morgen in Städten unterwegs bin. Nur wenige Menschen sind auf den Straßen und manchmal riecht man sogar den Duft von Kaffee und frisch gebackenen Brötchen. Das gefällt mir gut.

Ich will nicht mit Bus und Bahn zu meinem Ausgangspunkt fahren. Ich will von Anfang an laufen und starte hier bei der Kirche St. Ägidien. Der Weg durch die Stadt wird mir dann doch ein bisschen lang. Aber als ich gerade anfangen will mich zu ärgern, schwebt auf einmal im Stadtteil Eichholz über einer Ladenzeile ein Seeadler über mir. Unglaublich, aber meine Laune ist wieder geheilt und einen Kilometer weiter erreiche ich wieder das Grüne Band und noch einen Kilometer weiter bin ich wieder in der Natur.

Der Kolonnenweg hat mich wieder, es gibt Heideflächen, Birken- und Kiefernwald und die örtlichen Kindergartengruppen tollen in der Vegetation herum. Toll.

Der Kolonnenweg zieht sich jetzt Kilometer für Kilometer, aber ich bin nach dem ersten beiden Tagen gut trainiert und mache richtig Strecke.

Kurz vor Schlutup wandere ich durch einen Wald mit vielen Hügeln und Wällen. Landwehren sind es, auch Schwedenschanzen genannt, die im 30-jährigen Krieg als Schutz vor feindlichen Truppen und Räubern angelegt wurden.

Ein Fischotterwechsel mitten im Ort. Großartig.

In Schlutup ist die Grenzdokumentationsstelle leider geschlossen, aber in den Fenstern kann ich Bekenntnisse von jungen Menschen fotografieren, die auf der Flucht getötet worden sind.

Tränen kommen mir in die Augen und mir wird klar, dass die Freiheit, in der wir uns bewegen alles andere als selbstverständlich ist. Für diese jungen Menschen war sie es nicht.

Hinter dem Ort geht es wieder in die“Wildnis“.

Ein herrlicher kleiner Trampelpfad führt über mehrere Kilometer an der Schlutuper Wiek, einem Binnengewässer mit Verbindung zur Ostsee, entlang.

Ein bisschen fühlt es sich schon wie Meer an.

Auch den Kormoranen gefällt es.

Und ich finde einen geschützten Platz für eine Mittagspause. Apfeltasche gibt’s heute.

Eigentlich sollte mich jetzt der Bus die 10 Kilometer von Selmsdorf nach Dassow bringen, weil es hier keinen Wanderweg, sondern nur einen Radweg neben der Bundesstraße gibt. Aber der Bus kommt nicht. Die Fahrer streiken. Heute und morgen. Ich versuche zu trampen, versuche ganz freundlich auszusehen. Als aber nach einer Viertelstunde niemand gehalten hat, gehe ich schließlich los. Ich weiß sonst wirklich nicht, wie ich hier wegkommen soll.

„Gehen, weiter gehen“ heißt ein Buch von Erling Kagge, in dem er beschreibt, wie es gelingen kann trotz vieler Widrigkeiten einfach immer weiterzugehen. Er hat es damit bis zum Südpol geschafft, also müsste ich es doch auch bis Priwall schaffen, auch wenn es eng werden könnte bis es dunkel wird. Nach 6 Kilometern kommt ganz in der Ferne der Kirchturm von Dassow in Sicht. Das macht Mut.

Und zum Fotografieren der Schwäne muss auch noch Zeit sein.

Die Sonne bereitet sich langsam auf den Untergang vor. Das sollte sie aber noch gar nicht. Ich brauche sie noch.

Endlich das Ortsschild von Dassow. 10 Kilometer in anderthalb Stunden. Das grenzt an meine persönliche Bestzeit fürs Wandern mit Gepäck.

Nicht mehr viel Zeit bis zum Verschwinden der Sonne und ich habe noch einmal 12 Kilometer vor mir.

Langsam schwindet das Licht, der Abend senkt sich auf die Landschaft und immer noch sind es 7 Kilometer.

4 Kilometer vor Priwall ist es dann stockfinster. Aber mein guter Freund, der Vollmond, sorgt dafür, dass ich zumindest die helle Farbe des Radwegs sehen kann und vorankomme. Aber hören kann ich viel. Die Gänse und die Schwäne, die über mich hinwegfliegen und die Ostsee, die irgendwo rechts von mir rauscht und brandet.

Es geht eben nichts über gute Freunde!

Man mag es glauben oder nicht, als ich Priwall mit seiner Straßenbeleuchtung erreicht habe, verschwindet er hinter den Wolken. Jetzt komme ich auch ohne ihn zurecht.

Mit der Fähre geht’s jetzt nach Travemünde und dort kommt 5 Minuten später der Bus nach Lübeck an.

Ich habe heute perfekt funktioniert. Aus geplanten 18 sind über 30 Kilometer und das meist in sehr schnellem Schritt geworden. Und erst jetzt merke ich, wie kaputt ich bin.

Ich freue mich auf eine Pizza und ein großes Bier in dieser schönen Stadt.

Und ich werde wohl wiederkommen müssen, denn aus Boltenhagen komme ich morgen nicht mehr weg, weil dort wegen des Streiks keine Busse fahren.

Den nördlichen Teil des ehemaligen Todesstreifens habe ich mir jetzt komplett erwandert. Die Staatsregierung der DDR hatte aber auch verfügt, dass die Grenze noch 20 Kilometer an der Ostseeküste entlang bis auf die Höhe von Boltenhagen befestigt wurde. Diesen letzten Teil werde ich mir, vielleicht mit meiner Liebsten zusammen, irgendwann im Frühjahr vornehmen.

6 Kommentare auch kommentieren

  1. Irene sagt:

    Herzlichen Glückwunsch!
    Du hast das Meer erreicht… auch wenn diese restlichen 20 km noch fehlen. Glück für die Liebste, da kann man nämlich wunderbar radeln.
    Ich bin beeindruckt von deiner Esfährtkeinbus-Etappe.

  2. Angela sagt:

    Guten Morgen, Volker.
    Eigentlich sind alle auf deiner Seite: das Wetter, die Sonne und sogar der Mond. Wie konnten die Busfahrer sich da nicht anschließen.🤔
    Gehen, weiter gehen, nicht aufgeben, nicht verzweifeln, das gelingt dir richtig gut. 😘

  3. Sonja Schwarten sagt:

    Lieber Volker,
    es muss sehr für deine Sinne beeindruckend gewesen sein, die letzten Kilometer bei schwindendem natürlichen Licht, doch eine Orientierung zu finden und deinen Sinnen und Füßen zu vertrauen. Und dann all die Vogelstimmen und zum Schluss das Meer, die dich begleitet haben. Ein sicher unvergesslicher, vorläufiger Abschluss deines Grünen Bandes.
    Lauf weiter lieber Volker mit wachen Sinnen, deine Sonja🤗

  4. Erich von Hofe sagt:

    Die letzte Etappe deiner dreitägigen Wanderung hat es in sich gehabt. Alle Achtung, dass du das geschafft hast. Du verfügst über ein großes körperliches Durchhaltevermögen. Nur die Diskussion über den Wolf hat dich irritiert. Aber ansonsten hast du dein Etappenziel erreicht. Gratulation!!
    Erich

  5. Johannes Wreden sagt:

    Volker, so tolle Fotos und vor allem so toll geschrieben.
    Könnte Stunden weiter lesen. Freue mich für dich, dass du diese Natur und Erlebnisse erfahren hast. Never Stop exploring > Gehen. Weiter gehen 🙂 . Musste sehr schmunzeln über deine Begegnung bzw. deine Zeilen mit den „Wolfsgegner“. Kenne ich zu gut, diese Situationen.
    Ich verspüre übrigens just in diesem Moment extreme Lust wandern zu gehen …und Home Office fühlt sich gerade sowas von öde an.
    Beste Grüße

  6. Sibylle sagt:

    Lieber Volker, die Kommentare beinhalten schon von jeder Seite beleuchtet diese schöne Wanderung. Vorwärtsschauen und nicht verzweifeln scheint Dein Lebensmotto zu sein, ich werde dran denken, wenn ich es mal brauche. Und übrigens hättest Du fast ein Teekesselchen Foto gemacht. Wenn ein Apfel auf der Tasche gelegen hätte 😉
    Die nächste Wanderung von Dir lese ich beim nächsten Heißgetränk. 😊 Denn ich warte immer auf eine Zeit in aller Ruhe für mich für Deine wunderbaren Geschichten.
    Lieber Gruß Sibylle

Kommentar verfassen